14
Sep
2005

ZEIT online

Die ersten acht Wochen bei ZEIT online sind herum. Genug für eine Zeitkritik.

Die Online-Hospitanten sitzen in einem großen Büro gemeinsam mit der Grafik. Das ist nett, weil einem selten langweilig wird, doch schlecht, wenn man konzentriert arbeiten muss.

Zeit online ist keine Lokalzeitung

Doofe Aussage irgendwie und doch war mir nicht bewusst, was das wirklich bedeutet. In meiner Zeit bei der Neuen Deister-Zeitung bekam ich am zweiten Tag meinen ersten Job. Rausfahren, mit Leuten sprechen, schreiben. Nach einem viertel Jahr hatte ich dann erst einmal genug von Hasenzüchtervereinen und den ganzen bösen Klischees. In Hamburg hingegen sollte es spannend werden. Das hatte ich mir fest vorgenommen.

Grenzen gesetzt sind der Spannung keine - theoretisch. Alle Themen sind mehr oder minder möglich und der Ruf des Hauses öffnet natürlich viele Türen. Vorher muss man jedoch erst mal eine andere Tür aufbekommen. Auf ihr steht sowas wie Meinung erstellen, Voting überlegen, das tägliche Deutschlandfunk-Interview ins CMS einkopieren, alte Bilder löschen, bei denen die Rechte abgelaufen sind, Vorabmeldungen für die Printausgaben zusammenkopieren, Quizfragen aus einem Duden abtippen, Beschreibungen für weiterführende Links zu den Artikeln verfassen oder einfach mal 100 alte Teaser von einer Schwerpunktseite löschen (dauert übrigens mehrere Stunden).

Da war doch was mit schreiben

Was bedeutet eigentlich Online-Journalismus? Schreiben fürs Web, dachte ich immer. Ganz so richtig ist das leider nicht. Denn wenn man neben oben genannten Aufgaben noch Zeit findet, möchte der engagierte Journalist von morgen natürlich schreiben. Eigene Texte cool, mag der Leser denken. Nein, nein: Dpa-Meldungen zusammen kopieren.

Man darf das nicht falsch verstehen: Natürlich darf man eigene Themen vorschlagen und dann die Texte schreiben. Nur kann es passieren, dass man diese nach Feierabend schreibt, weil neben den Pflichtaufgaben keine Zeit ist oder man in dem Großraumbüro keine Konzentration findet. Außerdem: Über was soll man schreiben. Ein zum "Blatt" passendes und schwungvolles Thema will erst einmal gefunden werden. Schließlich ist nicht jeder ein kleiner Harald Martenstein. (Wahrscheinlich zelebriert er jede Woche 25 verschiedene Meditations- und Inspirationsübungen, um auch nur einen einzigen spannenden Ansatz zu finden, aber nichts genaues weiß man nicht.)

Ben Becker im Interview

"Und herzliche Verachtung alles dessen, was uns erhaben schien und wünschenswert", so schrieb Schiller in der Jungfrau von Orleans. War die Feder also begraben? Nein, rief ich, als ich eines morgens im Hamburger Abendblatt las, dass Ben Becker eine szenische Schiller-Perfomance - halb Lesung, halb Rockkonzert - mit seiner Band geben sollte. Mein Thema!

Etliche Telefonate mit der Theaterpressesprecherin und Beckers Manager später war alles klar. Eine Pressekarte lag bereit und ein persönlicher Interviewtermin mit Ben Becker arrangiert.

20 größtenteils private Arbeitsstunden später. Eine Redigatur unter Fieber. Zwei Texte geboren. Eine Kritik, ein Interview. Abgelehnt! Beide!

Selbstkritisch muss ich sagen: Es gibt leichteres als eine Kritik über eine Schiller-Lesung auf ZEIT-Niveau zu schreiben. Meine Kommilitonen waren zwar begeistert, doch war das leider nicht der Maßstab. Und das Interivew? Grandios! Ich selber würde keins lieber lesen. Ben Becker über Schiller, die Kostüme des Papstes, den Materialismus unser Gegenwart und die Verdummung durch die Medien. Was für Aussagen. Vielleicht waren sie zu hart, zu ehrlich, zu wahrhaftig.

Hört selbst einen Auszug aus dem Mitschnitt. Was ist also geblieben von meiner Schaffenskraft? Ein paar eigene Zeilen innerhalb zweier Artikel (siehe hier und hier).

Zünder: Das Zeit online-Jugendportal

Zünder soll eine Konkurrenz zu jetzt.de und Neon sein bzw. werden - nur politischer. Christian, der verantwortliche sitzt zwei Meter neben mir. Ich könnte also auch für den Zünder schreiben, dort, wo die Sprache jünger ist. Tolle Idee. Bloß, da war doch was mit der Themensuche und der Zeit ...

War war? Was bleibt? Der Umbau von ZEIT online

Ein Punkt ist immerhin spannend: der Umbau von Zeit online. Unter Gero, dem neuen Chefredakteur, wird die komplette Website hinterfragt und vieles neu oder besser konzipiert. Dabei können auch die Hospitanten mitreden. Das rockt nun wirklich, und ist Zucker für einen Affen Online-Junkie wie mich.
Weitere Angebote im Süßstofflager sind die wöchentliche Printkonferenz, in denen man die Stars der gedruckten ZEIT erleben kann, und auch die durchweg beinahe kumpelhaften Online-Redakteure. Bleibt zu hoffen, dass die virtuelle Feder genauso ein Kumpel wird.

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mrpink - 15. Sep, 10:27

Kopf hoch

Hey hört sich ja nicht so an, als würde man bei der ZEIT als Praktikant die Möglichkeit haben, journalistisch einen Schritt weiter zu kommen. Hört sich mehr nach Praktikanten-Dreckarbeit die sonst keiner machen will an. Aber Kopf hoch mein Lieber, dein Eintrag hier im BPS Blog ist auf jeden Fall gelungen. Echt. Netter Eintrag, ehrlich und schön geschrieben. (Tip: Finde ein Ben Becker Interview übrigens sehr interessant, probier`s doch mal wo anders. Gibt ja noch mehr Zeitungen, Magazine, etc.)

pcf - 15. Sep, 15:50

jetzt sei nicht enttäuscht. vielleicht waren deine erwartungen etwas zu hoch? zu den meisten praktika gehören leider auch praktika-tätigkeiten...dass die zeit keine tageszeitung ist, war ja auch irgendwie klar oder?

aber wenn ich so deinen eintrag lese, dann bekommst du doch schon einen guten einblick in den laden, in die abläufe. dazu: nicht viele von uns, wenn überhaupt, können mit einem ben becker-interview aufwarten... (verkaufs, alter, verkaufs!!) ;)

ich schätze, dass du schon einiges dort lernst. die erfahrungen kann dir keiner mehr nehmen, und es sieht - nicht nur - gut im lebenslauf aus.

ps: das suchen von eigenen themen ist für mich hier in budapest auch nicht einfach :(

7an - 15. Sep, 16:33

Naja, eine Hospitantin vor mir konnte noch wesentlich mehr schreiben. Und ich habe auch kein Problem mit ein paar Praktiaufgaben. Nur wenn es die Arbeit dominiert und das Journalistische auf der Strecke bleibt, ist es schade.

PS: Danke fürs Interview-Lob. Ich versuche schon es zu verkaufen. Aquisemails schreiben, hehe. So schnell und einfach geht es aber leider auch nicht. (edit am 28.10.05)
alphazeichen - 16. Sep, 13:43

cooles Posting

Der O-Ton - klasse Idee :)) na typisch Jan! Toll!!

Der Textfluß in die Freiheit...

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